Ist Prokrastination wirklich so schlecht – und was unterscheidet sie von Präkrastination?

16. Februar 2024
Prokrastination

Bisher waren die Rollen klar verteilt: Prokrastination oder das Aufschieben von Aufgaben ist schlecht. Wer hingegen mit seinen Aufgaben sofort anfängt, ist produktiv und erfolgreich. Doch ist das wirklich so? Es kommt drauf an …

Zunächst einmal: Worum geht es hier eigentlich?

Der Begriff „Prokrastination“ stammt aus dem lateinischen Wort „procrastinare“, was so viel wie „vertagen“ oder „verschieben“ bedeutet. Er wird allgemein verwendet, um das gezielte Hinauszögern von Aufgaben oder Verpflichtungen zu beschreiben, bei dem man sich stattdessen mit anderen Dingen beschäftigt oder Ablenkungen sucht. Prokrastination wird oft negativ bewertet, da sie Stress, geringere Produktivität und unerledigte Aufgaben zur Folge hat. Der Begriff Prokrastination wird vor allem im wissenschaftlichen Kontext verwendet und kann auch ein ernstzunehmendes psychologisches Verhalten bezeichnen.

Statt Prokrastination wird umgangssprachlich auch der humorvoll gemeinte Begriff „Aufschieberitis“ verwendet. „Aufschieberitis“ setzt sich aus den Wörtern „Aufschieben“ und „Arthritis“ zusammen und spielt darauf an, dass das Aufschieben von Aufgaben wie eine Art Krankheit sein kann. Der Begriff wird oft verwendet, um die Tendenz zum Aufschieben auf spielerische Weise zu beschreiben und zu verharmlosen.

So, und nun müssten eigentlich Tipps kommen, wie du die blöde Prokrastination endlich überwindest. Doch ist das Aufschieben wirklich nur schlecht?

Alexandra Polunin meint: Nein! Und – sie spricht mir damit aus der Seele.

Ich beobachte bei mir selbst immer wieder, dass ich nicht auf Knopfdruck kreativ sein kann. Ja, oft muss ich es sein, aber in solchen Momenten fühle ich mich überhaupt nicht gut. Dann schlägt das Imposter-Syndrom gnadenlos zu, weil ich merke, dass ich mich zu Dingen zwingen möchte, die mir nicht gelingen wollen. Und in diesen Momenten ist es tatsächlich so: Ich kann einfach nicht!

Glücklicherweise gibt es dann auch die anderen Momente. Die, in denen ich wieder “die Alte” bin, weil mir die Ideen einfach so zufliegen und ich kaum hinterher komme, sie irgendwie festzuhalten. Dann bin ich froh, dass ich meine Audiopen-App habe, die meine ungeordneten Ideen und Gedanken in eine gewisse Struktur bringen.

Ich glaube, das ist auch normal so.

Und ich bin Alexandra Polunin sehr dankbar, dass sie kürzlich in einem Newsletter darüber schrieb, dass es auch ihr so geht. Hier ist ihr Blogartikel Wer hat Angst vor Prokrastination?

Sie beschreibt, dass für sie zur Kreativität eine Inkubationsphase gehört, in der Ideen ruhen, schlafen, wachsen. In der Texte für Blogartikel oder Newsletter halbfertig liegen bleiben. In der Ideen entwickelt, aber nicht weiterverfolgt oder umgesetzt werden. Dass sie auch ihren inneren Kritiker zu Wort kommen lässt. Ganz bewusst.

Ganz klar also: Prokrastination ist nicht nur schlecht. Sie kann uns auch davor schützen, uns zu überfordern, indem wir uns unrealistischen Erwartungen unterwerfen.

Besser noch:

Prokrastination kann auch gut sein. Präkrastination eher nicht

Christian Rieck beschreibt in seinem Buch “Anleitung zur Selbstüberlistung”* gleich mehrere Szenarien, in denen die Prokrastination gar nicht so schlecht weg kommt. Im Gegensatz zur Präkrastination, die er Vorzieheritis nennt.

Präkrastination oder auch Vorzieheritis bedeutet, Aufgaben überstürzt, ungeplant und unüberlegt anzugehen, so dass sie nicht ausreichend effizient erledigt werden. Nur ein Beispiel, das Christian Rieck in seinem Buch beschreibt:

Ein Student kam 15 Minuten zu spät zu einer Klausur. Er war im falschen Stockwerk gelandet, fand den Raum nicht, hatte keine Zugangskarte für den Klausurbereich und stand eine Zeitlang vor verschlossener Tür. Auf die Frage, warum er sich nicht an die zuvor verschickte Weg- und Zugangsbeschreibung gehalten hatte, antwortete er empört, dass er ja wohl keine Zeit hätte, solche Informationen zu lesen.

Prokrastination durch Präkrastination

Präkrastination kann sich auch so äußern, dass jede noch so kleine, aufploppende Aufgabe sofort erledigt wird und für die eigentliche, größere, wichtige Aufgabe dann keine Zeit mehr bleibt. So ist man zwar pausenlos beschäftigt und hat durchaus Erfolgserlebnisse, nur leider kommt man vor lauten Kleinkram nicht zu seinen eigentlichen Aufgaben. Das würde ich als Prokrastination durch Präkrastination bezeichnen.

Hier bin ich allerdings der Meinung, dass diese Art der Präkrastination durchaus sinnvoll sein kann – vorausgesetzt die Aufgaben existieren tatsächlich und sind nicht vorgeschoben. Denn viele kleine “lose Enden” – unerledigte Aufgaben – können dazu führen, dass wir uns nicht ausreichend auf unsere eigentliche Aufgabe konzentrieren können. Insofern ist diese Form der Präkrastination eine Art Vorbereitung auf die eigentliche Aufgabe – also durchaus akzeptabel, wenn sie sich zeitlich in Grenzen hält.

Mein persönliches Erfolgsrezept

Mein persönliche Methode ist eine Balance zwischen Präkrastination und Prokrastination. Ich habe sie bereits als Teenager für mich entdeckt und sie funktioniert so:

Sobald eine neue Aufgabe oder Idee in mein Leben tritt, für die ich aktuell noch keine Zeit oder keine Kapazität habe, mache ich einen allerersten Schritt. Ich besorge mir ein Buch, lege einen Ordner an, melde mich irgendwo an. Dieser Schritt erfordert in der Regel, dass ich mir schon mal einen ersten Überblick über die Aufgabe verschafft habe, manchmal ist auch genau dieser Überblick mein erster Schritt.

Das mache ich ganz bewusst, weil es mir hilft, meine Gedanken zu beruhigen und meine Aufmerksamkeit wieder auf meine aktuellen Aufgaben und Projekte zu lenken.

Mit dem ersten Schritt habe ich schon mal das beunruhigende Gefühl ausgeschaltet, dass da etwas vor mir liegt, das ich nicht einschätzen kann. Und ich schiebe die Aufgabe nicht vor mir her – prokrastiniere also nicht. Außerdem habe ich durch den ersten Schritt mein Unterbewusstsein angeregt, schon mal für mich an einem Lösungsweg zu arbeiten.

Meine Methode schützt mich auch vor Präkrastination, denn so viel kann ich von meinem Unterbewusstsein erwarten: Dass es mir einen Weg aufzeigt, wie ich die Aufgabe möglichst effizient und effektiv umsetze.

Doch was passiert, wenn ich mich – typisch Scannerpersönlichkeit – vor lauter Begeisterung sofort auf die neue Aufgabe stürze und alles andere einfach liegenlasse? Dann funktioniert meine Methode nicht und ich kann auch nicht ausschließen, hier und da mal in die Präkrastinationsfalle zu tappen.

Das kommt in der Praxis aber nicht so oft vor. In meinem Alltag komme ich schon aus Zeit- und Kapazitätsgründen nur selten mal in die Situation, ein neues Projekt oder eine neue Aufgabe tatsächlich sofort angehen zu können, so sehr ich es mir auch wünschen würde. Schützt mich mein vollgepacktes Leben also vor Präkrastination? Vielleicht hilft mir diese Sichtweise ja, die zeitlichen Grenzen in meinem Leben wohlwollender anzunehmen.

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