Samstagmorgen, zehn Uhr. Du räumst die Frühstückssachen weg, schaust in die Küche – und siehst die Krümel auf dem Boden. Also schnell den Staubsauger holen. Auf dem Weg dorthin fällt dir auf, dass das Badezimmer auch dringend geputzt werden müsste. Noch bevor du dich versiehst, bist du schon wieder mitten in der Hausarbeit, obwohl du dir eigentlich einen entspannten Start ins Wochenende gewünscht hattest.
Dein Partner sitzt währenddessen gemütlich mit seinem Kaffee im Wohnzimmer und liest die Nachrichten. Nicht aus böser Absicht – er nimmt einfach nicht wahr, was dich sofort anspringt: die schmutzige Spüle, die Staubflusen, die Flecken auf dem Boden. Am Ende hast du das Gefühl, mehr Verantwortung für die Ordnung im Haushalt zu tragen, auch wenn ihr euch eigentlich vorgenommen hattet, die Aufgaben fair zu teilen.
Klingt bekannt? Kein Wunder. Viele Paare erleben genau dieses Ungleichgewicht, wenn es um die Verteilung der Putzarbeiten im Haushalt geht.
Doch woran liegt das? Warum fällt es manchen Menschen sofort auf, wenn etwas gemacht werden muss, während andere scheinbar „blind“ dafür sind?
Die Antwort liefert ein spannendes psychologisches Konzept: die Affordanztheorie. Sie erklärt, warum Frauen bestimmte Aufgaben oft deutlicher wahrnehmen – und wie ihr mit diesem Wissen die Hausarbeit gerechter aufteilen könnt.
Was steckt hinter der Affordanztheorie?
Affordanztheorie – das klingt erstmal kompliziert, ist aber im Grunde ganz einfach. Entwickelt wurde sie von James J. Gibson, einem Psychologen, der sich damit beschäftigte, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen. Seine zentrale Idee: Dinge um uns herum geben uns Hinweise darauf, wie wir sie benutzen können. Diese Hinweise nennt er Affordanzen.
Ein klassisches Beispiel: eine Türklinke. Schon ihre Form verrät uns, dass wir sie drücken oder ziehen müssen, um die Tür zu öffnen. Wir müssen nicht lange überlegen – die Türklinke selbst „zeigt“ uns, was zu tun ist.
So ähnlich funktioniert das auch mit vielen anderen Gegenständen im Alltag.
Spannend wird es, wenn man diese Theorie auf den Haushalt überträgt. Ein Staubsauger „lädt“ uns zum Saugen ein, ein Herd zum Kochen, eine Waschmaschine zum Wäschewaschen. Das passiert oft ganz automatisch, ohne dass wir bewusst darüber nachdenken.
Doch nicht alle Menschen nehmen die gleichen Affordanzen wahr. Während du sofort siehst, dass der Mülleimer voll ist, fällt es deinem Partner vielleicht gar nicht auf. Für dich schreit der Mülleimer: „Bring mich runter!“, für ihn ist er einfach nur da.
In einem Artikel im Fachjournal Philosophy and Phenomenological Research erklären die Autoren, der Philosophiedozent Dr. Tom McClelland von der University of Cambridge und Professor Dr. Paulina Sliwa von der Universität Wien, was dahintersteckt.
Danach liegt genau hier ein Schlüssel zum Verständnis, warum Hausarbeit oft so ungleich verteilt ist: Es geht nicht darum, dass jemand „faul“ ist. Es geht darum, dass Menschen ihre Umgebung unterschiedlich wahrnehmen – beeinflusst durch Erfahrungen, Erziehung und auch durch gesellschaftliche Rollenbilder.
Doch wie führen diese Unterschiede konkret dazu, dass Frauen häufiger mehr Putzarbeiten übernehmen als Männer?
Wie der Affordanzeffekt im Haushalt wirkt
Wenn du durchs Wohnzimmer gehst und sofort siehst, dass der Couchtisch voller Fingerabdrücke ist, während dein Partner daneben sitzt und es gar nicht bemerkt – dann erlebst du genau das, was man den Affordanzeffekt nennt.
Dieser Effekt beschreibt, dass wir auf bestimmte Eigenschaften von Dingen oder Räumen reagieren, ohne bewusst darüber nachzudenken. Für dich hat der Couchtisch die „Affordanz“: Bitte wisch mich ab. Für deinen Partner ist er einfach ein Tisch.
Das klingt banal, erklärt aber eine Menge. Denn je nachdem, welche Affordanzen wir wahrnehmen, fühlen wir uns auch unterschiedlich verantwortlich für bestimmte Aufgaben. Frauen sind oft so sozialisiert, dass sie mehr auf Ordnung und Sauberkeit achten. Sie nehmen die „Signale“ von Putzutensilien, Flecken oder Krümeln viel stärker wahr. Männer hingegen haben gelernt, dass Sauberkeit nicht zu ihren Kernaufgaben gehört – und sehen diese Aufforderungen weniger.
Ein Beispiel:
- Der Staubsauger im Flur erinnert dich jedes Mal daran, dass der Boden gesaugt werden muss.
- Dein Partner geht einfach daran vorbei, ohne diesen Gedanken zu haben.
Das heißt nicht, dass er absichtlich nichts macht. Es bedeutet, dass die Dinge ihn gar nicht erst „anspringen“. Und je weniger jemand diese Aufforderungen wahrnimmt, desto seltener greift er von sich aus zu Putzmitteln oder Staubsauger.
Hier mischen sich also zwei Dinge: die psychologische Wahrnehmung von Affordanzen und die gesellschaftlichen Geschlechterrollen, die wir von klein auf lernen. Zusammen verstärken sie die ungleiche Verteilung der Putzarbeiten im Haushalt.
Die gute Nachricht: Genau hier kannst du ansetzen, wenn du mehr Gleichstellung im Haushalt erreichen willst.
So kannst du den Affordanzeffekt durchbrechen
Wenn die Hausarbeit ungleich verteilt ist, hilft es selten, immer wieder die gleiche Diskussion zu führen („Du machst nie …“ / „Doch, ich habe doch gerade …“). Stattdessen lohnt es sich, die Mechanismen des Affordanzeffekts bewusst zu machen – und dann konkrete Veränderungen einzubauen.
Hier ein paar Wege, wie du den Affordanzeffekt durchbrechen kannst:
1. Über die Wahrnehmung reden
Mach dir bewusst: Dein Partner nimmt bestimmte Dinge vielleicht wirklich nicht wahr. Das heißt nicht, dass er absichtlich nichts macht. Sprecht darüber, wie unterschiedlich ihr die „Aufforderungen“ im Haushalt seht, und benennt, was dir auffällt.
2. Aufgaben sichtbar machen
Wenn Putzmittel im hintersten Schrank stehen, erinnern sie an nichts. Stell den Staubsauger oder die Putzutensilien mal bewusst sichtbarer hin – so springen sie beide gleich an. Eine einfache Veränderung in der Umgebung kann viel bewirken.
3. Klare Absprachen statt unausgesprochener Erwartungen
Erwartungen wie „Er sollte doch sehen, dass die Küche sauber gemacht werden muss“ führen fast immer zu Frust. Besser: klare Absprachen. Wer macht was und wie oft? Eine einfache Aufgabenliste oder ein wöchentlicher Putzplan schafft Klarheit und vermeidet Streit.
Meine Empfehlung: Nutzt die Tody-App. Dort lassen sich gemeinsame, flexible Putzpläne für mehrere Personen einrichten. Ganz nebenbei macht die App wirklich Spaß. In diesem Blogartikel erfährst du, wie die Hausarbeit durch die Tody-App für mich zum „Spiel“ geworden ist:
Haushalts-Challenge mit der Tody-App: In 7 Schritten zur entspannten Putzroutine
4. Rotationsprinzip nutzen
Statt starr immer die gleichen Aufgaben zu übernehmen („Ich koche, du putzt das Bad“), könnt ihr rotieren. So erlebt jeder mal, was die andere Person leistet, und die Verantwortung verteilt sich gerechter.
5. Gemeinsame Standards entwickeln
Oft streitet man nicht darüber, ob geputzt wird, sondern wie gründlich. Klärt für euch: Was bedeutet „sauber“? Wenn ihr einen gemeinsamen Standard habt, wird es leichter, die Verantwortung gleichmäßig zu teilen.
Wenn du diese Punkte angehst, verlagerst du den Blick weg von Vorwürfen hin zu einem gemeinsamen Verständnis. Damit entsteht die Grundlage für mehr Gleichstellung im Haushalt – und weniger Diskussionen.
Mehr Gleichstellung im Haushalt – warum sich das lohnt
Hausarbeit fair zu teilen bedeutet weit mehr, als nur Zeit zu sparen. Es geht um Gleichstellung im Alltag – und darum, dass beide Partner Verantwortung übernehmen.
Wenn die Aufgaben im Haushalt gerecht verteilt sind, hat das gleich mehrere Vorteile:
1. Weniger Streit, mehr Harmonie
Viele Konflikte in Partnerschaften drehen sich um Hausarbeit. Wer immer das Gefühl hat, mehr zu tun, fühlt sich irgendwann ausgenutzt oder nicht wertgeschätzt. Eine faire Aufteilung reduziert diesen Frust und sorgt für ein entspannteres Miteinander.
2. Mehr Entlastung für beide
Wenn nicht alles an einer Person hängen bleibt, bleibt mehr Energie für die Dinge, die euch wirklich wichtig sind: gemeinsame Aktivitäten, Hobbys oder einfach mal entspannen. Das sorgt für mehr Lebensqualität für beide.
3. Bessere Partnerschaft auf Augenhöhe
Hausarbeit ist unsichtbare Care-Arbeit – und genau sie prägt, wie gleichberechtigt eine Beziehung wirklich ist. Wer Verantwortung teilt, zeigt Respekt füreinander und lebt Gleichstellung im Alltag.
4. Vorbild für Kinder
Falls Kinder im Haushalt leben, lernen sie durch Beobachtung. Sehen sie, dass beide Elternteile Verantwortung übernehmen, verinnerlichen sie ein gleichberechtigtes Rollenverständnis. Übrigens, auch Kinder können je nach Alter erste kleine Aufgaben übernehmen, vielleicht sogar mit Tody-App-Belohnung.
5. Nachhaltiger Effekt auf die Beziehung
Studien zeigen: Paare, die Hausarbeit fair aufteilen, sind zufriedener und erleben ihre Partnerschaft als stabiler. Es ist also nicht nur eine Frage der Ordnung, sondern auch ein Investment in eure Beziehung.
Am Ende geht es nicht darum, jede Aufgabe auf die Minute genau zu messen. Sondern darum, ein gemeinsames Verständnis von Fairness zu entwickeln – und die kleinen Signale im Haushalt nicht länger nur bei einer Person abzuladen.
Fazit: Affordanz liefert die Antwort
Hausarbeit ist mehr als ein notwendiges Übel – sie ist ein Spiegel für Gleichstellung im Alltag. Der Affordanzeffekt zeigt, dass wir unsere Umgebung unterschiedlich wahrnehmen. Während die eine Person sofort sieht, dass etwas erledigt werden muss, bleibt es für die andere unsichtbar. Das ist keine Frage von Faulheit, sondern von Wahrnehmung, geprägt durch Erziehung, Erfahrung und gesellschaftliche Rollenbilder.
Wenn du dieses Wissen nutzt, kannst du aktiv gegen Ungleichgewicht in der Verteilung von Putzarbeiten im Haushalt vorgehen. Es reicht nicht, auf „mehr Hilfe“ zu hoffen. Stattdessen braucht es klare Absprachen, sichtbare Aufgaben und ein gemeinsames Verständnis von Fairness.
Das Schöne: Schon kleine Veränderungen können Großes bewirken. Ein sichtbarer Staubsauger, ein Wochenplan oder eine offene Unterhaltung darüber, was „sauber“ bedeutet, sorgen dafür, dass Verantwortung geteilt wird.
Eine faire Aufgabenverteilung bedeutet weniger Streit, mehr Respekt und eine Partnerschaft, die auf Augenhöhe gelebt wird. Und wenn beide Verantwortung übernehmen, bleibt mehr Raum für das, was wirklich zählt: gemeinsame Zeit und Lebensfreude.
10 Key Takeaways
- Hausarbeit ist oft ungleich verteilt – meist übernehmen Frauen mehr.
- Der Affordanzeffekt erklärt, warum Menschen Hausarbeit unterschiedlich wahrnehmen.
- Dinge „fordern“ uns zu Handlungen auf – z. B. ein voller Mülleimer.
- Frauen nehmen diese Signale oft stärker wahr, Männer oft weniger.
- Unterschiedliche Wahrnehmung ist kein Zeichen von Faulheit.
- Gesellschaftliche Rollenbilder verstärken den Effekt.
- Klare Kommunikation ist entscheidend, um Frust zu vermeiden.
- Sichtbare Hilfsmittel (Staubsauger, Putzplan) gleichen Wahrnehmung aus.
- Gemeinsame Standards für „sauber“ verhindern Missverständnisse.
- Fair geteilte Hausarbeit stärkt Partnerschaft und Gleichstellung.
3 Tipps für den Alltag
- Macht Aufgaben sichtbar: Putzmittel oder Staubsauger nicht verstecken, sondern bewusst so platzieren, dass sie beide „anspringen“.
- Setzt klare Absprachen: Vermeidet unausgesprochene Erwartungen – schreibt Aufgaben auf oder arbeitet mit einem einfachen Plan.
- Reflektiert regelmäßig: Sprecht alle paar Wochen darüber, wie fair die Aufgabenverteilung ist, und passt sie bei Bedarf an.
Interessant und auch plausibel. Es ist leider damit wieder so, dass die Aufgabe, die Person mit weniger Blick auf die Staubmäuse zu sensibilisieren, noch als Zusatzaufgabe an der Person mit mehr Wahrnehmung hängt. Andererseits macht das Wünschen die Welt ja auch nicht immer so, wie wir sie gerne hätten. In meiner Bezeihung habe ich das große Glück, dass wir beide ungefähr gleich vom Schnuddel aufgefordert werden, etwas zu tun. In meinem Umfeld kenne ich aber auch andere Konstellationen. Danke für den neuen Begriff!
Liebe Angela,
stimmt, das ist dann tatsächlich noch eine Zusatzaufgabe – neben der Hausarbeit. Oder von vornherein darauf achten, unter dem Motto: Augen auf bei der Partnerwahl 😊
Wirklich Gold wert, wenn das so gut funktioniert wie in deiner Beziehung 😊
Liebe Grüße
Astrid
In der Robotik wird der Begriff Affordanz auch verwendet, meistens als Greif-Affordanz. Autonome Robotoersysteme können lernen diese Affordanzen zu erkennen: beispielsweise abzuschätzen, wo sich der Schwerpunkt an einem Werkstück befindet und wo es sich am besten Greifen lässt. Dafür sind enorm viele Wiederholungen nötig. Bei uns Menschen und der Ordnung sehe ich das ähnlich: Eine oft ausgeführte Handlung, an die man am Anfang noch erinnert werden muss prägt sich ein und wird mit einer Affordanz (voller Mülleimer – sollte ich ausleeren) verknüpft. Ordnung wird erlernt.
Liebe Alke,
deshalb tut man seinen Kindern – gerade Jungen – auch keinen Gefallen, wenn man Hausarbeit von ihnen fern hält. Sonst hat die Partnerin später viel Arbeit – entweder Hausarbeit oder Überzeugungsarbeit.
Danke dir, dass du den Zusammenhang noch mal so gut erklärt hast.
Liebe Grüße
Astrid