In der letzten Woche berichtete eine Kollegin, so wie ich Bauingenieurin: “Wieder einmal war ich die einzige Frau in der Bauberatung. Vor ein paar Jahren war das Verhältnis noch 50 : 50 …”
Hmmm … woran mag das liegen? Vielleicht daran, dass die selbstbewussten DDR-Frauen nach und nach das Rentenalter erreichen und der Nachwuchs vor allem männlich ist?
Heute ist der Internationale Frauentag. Mir geht dazu vieles durch den Kopf. Einen dieser Gedanken möchte ich hier teilen.
Ich bin so viel introvertierter, zurückhaltender und schüchterner als viele andere Frauen, die über die fehlende Gleichberechtigung von Frauen klagen. Ich frage ich mich oft, warum Frauen, die ich selbst als stärker und selbstbewusster wahrnehme als mich, sich selbst benachteiligt fühlen? Müsste es ihnen nicht leicht fallen, sich einfach zu nehmen, was sie wollen?
Denn ich fühle mich als Frau nicht benachteiligt. Noch nie. Weder in meinem Beruf als Bauingenieurin, noch in meiner Partnerschaft, nicht in der Öffentlichkeit, nicht in der Gesellschaft.
Wenn irgendwas in meinem Leben nicht so gelaufen ist, wie ich es mir gewünscht hätte, lag das eher an meiner Persönlichkeit als an meinem Geschlecht.
Ich frage mich oft, ob ich mir nur etwas vormache. Ob ich nicht doch an irgendeiner Stelle benachteiligt werde, ohne es zu merken. Stelle ich einfach zu geringe Ansprüche? Rede ich mir hier etwas schön? Solche Fragen beschäftigen mich nicht erst seit heute. Ich denke immer wieder darüber nach. Da ist nichts …
Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass es auch in Deutschland kulturelle, familiäre, vielleicht auch gesellschaftliche Szenarien gibt, in denen Frauen keine guten Karten haben. Auch in vielen Unternehmen oder ganzen Branchen läuft es wahrscheinlich noch lange nicht ideal in Sachen Geschlechtergerechtigkeit. International erst recht nicht.
Und ich höre gerade auch in Podcasts immer wieder Dinge, die mich fassungslos machen. Zum Beispiel, dass es tatsächlich Eltern geben soll, die ihren Söhnen mehr Taschengeld geben als ihren Töchtern, allein wegen des Geschlechts. Euer Ernst???
Je mehr ich darüber nachdenke, warum ich all das in meiner Welt nicht erlebe, komme ich zu dem Schluss: Ich habe es vor allem meinen Eltern zu verdanken!
Meine Eltern würde ich heute, rückblickend, als Freigeister bezeichnen. Sie haben sich damals vielen “ungeschriebenen” gesellschaftlichen Normen entzogen. In Bezug auf das Thema Gleichberechtigung bedeutete das:
Meine Eltern teilten sich die Hausarbeit und mein Vater machte sich nichts daraus, das auch öffentlich zu zeigen. Das war auch in der DDR zumindest so ungewöhnlich, dass man später darüber in seiner Stasi-Akte lesen konnte. Ihm war es sowas von egal …
Meine beiden Brüder und ich wurden absolut gleich behandelt. Bei der Hausarbeit, beim Taschengeld (logisch!), bei der Förderung unserer Talente, beim Spielzeug und auch bei der Kleidung.
Es gab für mich kein Pink und für meine Brüder kein Blau (jedenfalls nicht automatisch).
Ich hatte kurze Haare und trug Latzhosen.
Meine Brüder hätten mit Puppen spielen können, wenn sie gewollt hätten (niemand von uns mochte Puppen besonders) und ich liebte meine Vero-Construc-Baukästen.
Später gaben mir meine Eltern immer wieder deutlich zu verstehen, was sie von meiner Idee hielten, als Kellnerin zu arbeiten (das erschien mir zeitweise sehr attraktiv wegen der guten Trinkgelder).
Sie sahen mich ganz klar in einem technischen Beruf. Alle anderen Interessen und Neigungen könne ich später immer noch ergänzen oder integrieren – hauptberuflich, nebenberuflich oder als Hobby. Aber erst einmal muss die wirtschaftliche Basis gesichert sein. Und das war eher kein „typischer Frauenberuf“.
Wie recht sie hatten!
Damals fand ich das “Anderssein” unserer Familie nicht so toll. Ich wollte auch so sein und so leben wie alle anderen. Wollte dazugehören.
Erst viele Jahre später wurde mir so richtig bewusst, welch ein Geschenk unsere Eltern uns mit ihrem Einfluss (ich nenne es jetzt nicht Erziehung) gemacht haben.
Ich sah in meinem damaligen Umfeld, dass die traditionellen Rollenbilder immer noch präsent waren, auch wenn die meisten Frauen in der DDR berufstätig waren. Viele von ihnen erlebten eine ähnliche Rollenverteilung wie Frauen in der Bundesrepublik, nur eben neben dem Vollzeitjob.
Aber die Doppelbelastung der Frauen ist nur die eine Seite. Auch wenn ich mich erinnern kann, dass viele Frauen sie als Last empfunden haben – gleichzeitig waren wir wirtschaftlich unabhängig und das machte uns selbstbewusst.
Klar, in Sachen Gleichberechtigung und Gleichstellung bot die DDR bestimmt wesentlich bessere Bedingungen als der andere Teil Deutschlands. Es war selbstverständlich, dass Frauen studieren und in technischen Berufen oder in Führungspositionen arbeiten und ebenso selbstverständlich auch dementsprechend bezahlt wurden.
Aber das ist nicht alles. Ich glaube, einen mindestens ebenso großen Einfluss auf unsere eigene Wahrnehmung und unser eigenes Selbstverständnis hat unsere Familie und unser unmittelbares Umfeld.
Bei mir kam eben beides zusammen: Eine Gesellschaft, die beiden Geschlechtern gleiche Chancen bot und Eltern, die uns Kindern vorlebten, wie das mit der Gleichberechtigung in der Praxis aussehen kann.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass meine Eltern schon damals vielen heutigen Eltern meilenweit voraus waren.
Auf Instagram folge ich dem Papablogger Marco, der über seinen Familienalltag schreibt. Ich finde ihn super – und bin zugleich bestürzt, weil er Dinge wie die Aufgabenverteilung in der Familie thematisiert, die eigentlich selbstverständlich sein müssten.
Ich bin traurig, dass wir heute immer noch über das Thema sprechen müssen. Schlimmer noch: Manchmal habe ich als Ostfrau das Gefühl, es würde wieder rückwärts gehen …
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Der Einfluss, den meine Familie auf mein heutige ICH hat, beschäftigt mich schon lange. In diesen Blogartikeln habe ich darüber geschrieben:
Wie ich wurde, was ich bin: Eine Scannerin, die endlich umsetzt, was ihr wichtig ist
Was will ich als Sidepreneurin, Bloggerin und Mutter bewirken?
Vielen Dank, Astrid,
für deine interessanten Gedanken zum Frauentag. Ich hatte einen ähnlichen Einfluss aus dem Elternhaus (wenn auch in WestD) und bin sehr froh darüber. Ich finde die „klassische“ Rollenverteilung in Familien albern, allerdings hatte die gewünschte Veränderung in meiner 1. Ehe gegen den Unmut von außen keine Chance, das war schon traurig.
Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Mädchen in unseren nachfolgenden Generationen immer selbstbewusster werden und sich nehmen, was sie mögen!
Liebe Anette,
oh ja, so ein bisschen kenne ich das auch – unabhängig von den Werten, die im eigenen Elternhaus vermittelt werden, können später in der Partnerschaft unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinanderprallen. Schwierig … und manchmal lässt sich das tatsächlich nicht überwinden. Da kann ich mir so einige Konstellationen vorstellen, in den man keine Chance hat.
Ich hoffe nur, dass die Mädchen nachfolgender Generationen tatsächlich erkennen, wie wichtig wirtschaftliche Unabhängigkeit ist und nicht freiwillig in die zunächst vermeintlich bequemere Versorgungsmentalität verfallen, die ich gelegentlich sehe (zum Glück nicht bei unseren Kindern).
Danke und liebe Grüße
Astrid