Mit diesem Artikel beteilige ich mich an der Blogparade von Sylvia Tornau zum Thema „Geteiltes Leben – wie viel DDR steckt nach 35 Jahren Einheit noch in mir?“ Sie regt dazu an, uns mit unserer Vergangenheit in Form von Prägungen auseinanderzusetzen.
Ich neige nicht zum Grübeln über die Vergangenheit, es sei denn, ich werde dazu angeregt. So wie jetzt, bei dieser Blogparade, an der ich mich einfach beteiligen muss. Zum Thema DDR könnte ich so viel schreiben. Ich konzentriere mich aber auf die beiden Themen, bei denen ich meine DDR-Vergangenheit besonders deutlich wahrnehme. Es geht um Gleichberechtigung und Lösungsorientiertheit. Am Ende komme ich zu dem Schluss: Die DDR hat mich resilient gemacht.
#1 – Natürlich Gleichberechtigung, was sonst?
Ich bin in der tiefen Überzeugung aufgewachsen, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte und Pflichten haben. Das hat mich geprägt. Dass das nicht überall auf der Welt so gelebt wird, war mir immer klar. Aber in Deutschland?
Erstaunt höre ich immer wieder in Finanzpodcasts, mit welch einer Selbstverständlichkeit junge Frauen sich auch heute noch finanziell abhängig machen, indem sie beruflich zurückstecken, sobald sie Familie haben.
Das beginnt oft schon mit der Berufswahl. Wer einen schlecht bezahlten Beruf wählt, stellt schon die Weichen in ein Leben in Abhängigkeit von einem besser verdienenden Partner. Denn die sogenannten typischen “Frauenberufe” werden leider oft besonders schlecht bezahlt. Klar, kann man dann als Familie auf dieses Gehalt eher verzichten.
Berufswahl von Jugendlichen ist immer noch geschlechterbasiert
Ich bin Gleichstellungsbeauftragte. In diesem Zusammenhang bin ich kürzlich auf die Initiative der Bundesregierung klischee-frei.de aufmerksam geworden. Es geht darum, dass die Berufswahl bei Jugendlichen immer noch sehr stark beeinflusst ist von den Vorstellungen, was “geschlechtertypisch” ist. Klischee-frei.de hat sich zum Ziel gesetzt, diese Denkmuster aufzulösen.
Auch wenn ich diese Initiative super finde, deprimiert sie mich auch. Denn ich komme aus einer Welt, in der es dieses Thema überhaupt nicht gab.
Ich habe es auf meinem Blog schon mehrfach thematisiert: Ich bin heilfroh, dass meine Eltern meine Brüder und mich in jeder Hinsicht gleich behandelt haben. Es gab weder Pink oder Rosa als Mädchenfarbe noch Blau als Jungsfarbe und auch unsere Spielsachen wurden nicht “geschlechtergerecht” ausgewählt. Auch im Haushalt hatten wir die gleichen Aufgaben. Wir alle haben einen technischen Beruf gewählt und sind sehr froh darüber.
In der Generation meiner Tochter, geboren 1990, also genau zur Wendezeit, war das schon nicht mehr so normal. Da war plötzlich das traditionelle Frauenbild in den Köpfen, allein schon durch die Werbung, und so interessierte sie sich auch vor allem für “Frauenberufe”. Zum Glück änderte sie ihre Meinung noch und konnte beruflich in einem Bereich Fuß gefasst, der nichts mit traditionellen Frauenrollen zu tun hat.
Ob das mit der nächsten Generation immer noch gelingt? Ich habe immer ein gewisses Unbehagen bei all dem pinkfarbenen Mädchenspielzeug. Wenn im Beisein der Kinder von “richtigen Mädchen” und “richtigen Jungen” geredet wird, die sich dann in ihrem vermeintlich geschlechtertypischen Verhalten bestätigt fühlen.
Wie war es denn in der DDR?
Nun ist es ja keinesfalls so, dass in der DDR alle Frauen die berufliche Gleichberechtigung zu schätzen wussten. Ich kann mich gut an Frauen erinnern, die die BRD-Frauen dafür beneidet haben, dass diese “Hausfrau” sein durften. Klar, man sieht nur die eine Seite …
Ich habe mir damals auch mehr Freizeit gewünscht. Ich wünsche mir immer mehr Zeit, als mir zur Verfügung steht. Und zufrieden war ich mit meiner Berufswahl – ich bin Diplom-Bauingenieurin – auch nicht immer. Das hat aber eher mit meiner Scannerpersönlichkeit zu tun als mit der Tatsache, dass dieser Beruf heute eher “männlich” besetzt ist.
Übrigens war auch in der DDR die Hausarbeit vor allem Frauensache, dafür stand Frauen mit Familie in der DDR jeden Monat ein bezahlter freier Tag zu, der sogenannte “Haushaltstag”. Warum nur den Frauen, nicht den Männern?
Ich kann mich noch an ein merkwürdiges Ritual aus meiner Kindheit erinnern. Am Samstagvormittag trafen sich die Männer auf der Straße, um ihre Autos zu waschen und zu reden. Die Frauen trugen bunte Kittelschürzen und machten die “Flurwoche” oder andere sichtbare Hausarbeiten.
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Meine Eltern haben sowas nie mitgemacht. Im Gegenteil – in der „Stasiakte“ meines Vaters war vermerkt, er würde “unter dem Pantoffel stehen”, weil er wiederholt beim Wäscheaufhängen gesichtet wurde.
Sicherlich hatte die Gleichberechtigung in der DDR vor allem praktische Gründe. Die Arbeitskraft der Frauen wurde gebraucht. Und dass das, was gesellschaftlich angestrebt wurde, nicht zwangsläufig auch in den Köpfen der Menschen stattfand, erleben wir auch heute wieder.
Für meinen Mann war es in der DDR selbstverständlich, zur Betreuung seiner kranken Tochter zu Hause zu bleiben. Andere Männer hätten das auch machen können, aber auch in der DDR gab es genug Männer, die froh waren, die Care-Arbeit auf ihre Frauen abwälzen zu können. Finanziell war es jedenfalls nicht notwendig, da es – bei gleicher Qualifikation – keine Gehaltsunterschiede gab.
Nach der Wende war sowas undenkbar. Den Westchefs zu erklären, dass man mit seinem kranken Kind zum Arzt muss, hat sich kaum jemand getraut, schon gar kein Mann. Auch ich kann mich an demütigende Situationen erinnern, wenn meine Tochter plötzlich krank wurde und ich nicht sofort eine Betreuung fand.
Inzwischen ist das anders. Ich finde es super, mit welcher Selbstverständlichkeit meine jungen Kollegen ihre Kinder betreuen, Elternzeit nehmen und sich die Hausarbeit mit ihren Frauen teilen.
Hier scheint sich also ein Schritt in die richtige Richtung zu vollziehen. Aber ist das repräsentativ?
Bauen wird “männlicher”
Kürzlich meinte eine Kollegin nach einer Baubesprechung: “Heute war ich wieder die einzige Frau auf der Baustelle …”
Klar, die taffen, gut verdienenden Bauingenieurinnen, die bisher auf ostdeutschen Baustellen zu sehen waren, gehen nach und nach in den Ruhestand.
Gelegentlich lerne ich natürlich auch westdeutsche Bauingenieurinnen und Architektinnen meiner Generation kennen. Das freut mich, überrascht mich aber auch. Ich frage mich dann manchmal, wie es dieser Frau gelungen ist, sich in ihrem männlich dominierten Umfeld zu behaupten.
#2 – Was mich geprägt hat: Einfallsreichtum. Kreativität. Mir zu helfen wissen.
Auch wenn es heißt, die Ossis wollten ja nur “die Banane” haben – was wirklich fehlte, waren ja oft ganz praktische Dinge des täglichen Lebens. Und da musste man sich etwas einfallen lassen.
DIY im Alltag
Kürzlich hat mir eine Jugendfreundin Kopien von Briefen mitgebracht, die ich ihr in den 80-er Jahren geschrieben hatte. Spannend, zu lesen, was ich alles unternommen habe, um Stoff, Druckknöpfe, Garn und andere Nähutensilien zu besorgen. Denn Mode und Nähen waren meine Leidenschaft. Schon als Teenager wurde ich mit gut bezahlten Nähaufträgen überschüttet.
Woher ich das konnte? Meine Mutter brachte es mir bei, als ich 13 war. Sie war eine strenge Lehrerin und achtete darauf, dass ich absolut akkurat nähe. Jeder Stich musste sitzen. Aber ich war ihr auch dankbar, denn so sahen die von mir genähten Sachen nie “selbstgenäht” aus.
Selbstversorgung, Reparaturkultur und Gemeinsinn
Meine Eltern hatten sich gegen eine der typischen “Neubauwohnungen” im Plattenbau entschieden. Stattdessen wohnten wir in einem Mehrfamilienhaus in der Rostocker Innenstadt, dem Elternhaus meines Vaters. Die Erhaltung des Hauses war für unsere Familie eine Lebensaufgabe und so erlebte ich den größten Teil meiner Kindheit auf einer Baustelle.
So wie meine Schneiderfähigkeiten gefragt waren, brauchten wir auch oft die Hilfe unserer Nachbarn, die praktischerweise Baufachleute waren. Wer etwas konnte, was gefragt war, konnte sich Leistungen “eintauschen”.
Es war so schwer, Baumaterial zu bekommen, wir mussten immer wieder improvisieren, tauschen, warten. Jede Leiste war wertvoll. Natürlich halfen wir Kinder nicht nur im Haushalt, sondern auch auf der Baustelle. Dafür kann ich auch heute noch alles verarbeiten, was es im Baumarkt gibt.
Ob DIY oder Reparaturen – ich glaube, es gibt nichts, was ich mir nicht zutraue. Dass ich nicht alles machen muss, was ich kann, steht auf dem anderen Blatt. Aber weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass ich immer eine Lösung finde, bleibt das Gefühl, dass ich alles kann, wenn ich es nur will.
Die Mangelwirtschaft in der DDR hat aber auch dazu geführt, dass ich Gegenstände und von Menschen gefertigtes auch heute noch achte. Noch immer steckt ein sorgsamer Umgang mit diesen Dingen in mir. Ich bin immer noch nicht in der „Wegwerfgesellschaft“ angekommen.
Natürlich trenne ich mich von Sachen, die nicht mehr in mein Leben passen, aber ich habe dabei immer noch ein komisches Gefühl und freue mich, wenn Aussortiertes in irgendeiner Form ein zweites Leben bekommt.
Fazit: 28 Jahre DDR haben dafür gesorgt, dass ich mich unglaublich stark fühle. Bei Sylvia habe ich auch von der „Gnade der späten Geburt“ gelesen. Das traf auch auf mich zu. Mit 28 Jahren hatte man nach der Wende auch alleinerziehend und mit Baby ganz gute Bedingungen für einen Neustart.
In meinem Alter und mit meiner Ausbildung fiel ich nicht „durchs Raster“ wie viele Menschen, die zum Zeitpunkt der Wende schon älter waren und gnadenlos aussortiert und abgestempelt wurden.
Ich behaupte mal, wer die Wende überstanden hat, den kann nichts mehr erschüttern. Von einem Tag zum anderen in einer anderen Gesellschaftsordnung zurechtzukommen, macht resilient. Die Erfahrung kann mir niemand nehmen.
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Liebe Astrid, herzlichen Dank für deine Teilnahme an meiner Blogparade. Ich musste lachen über die Auto putzenden Männer und die im Haushalt putzenden Frauen. Ich habe das damals gehasst und für spießig gefunden, mal ganz abgesehen davon, dass ich die Dederon-Kittelschürzen wirklich eklig fand vom Tragegefühl her. Spannend finde ich auch, dass die Berufswahl damals von ganz anderen Kriterien abhängig war – einerseits interessengeleitet und andererseits vom Zugang her, der ja auch staatlich gelenkt war. Fast niemand hat am Ende das gelernt oder studiert, was persönlich erwünscht war, sondern wo es freie Plätze gab. Ich kenne einige Frauen meiner Generation und älter, die als Ingenieurinnen gearbeitet haben und finde auch, wir sind viel selbstverständlicher damit groß geworden, dass es Berufe gibt und nicht Männer- oder Frauenberufe. Ich denke da an Medienberichte, Fotos von Frauen mit Bauhelm, Traktorfahrerinnen, Chemikerinnen. Diese Bilder waren auch in unseren Schulbüchern. Mal saß ein Mann auf dem Traktor, mal eine Frau. Das vermisse ich heute auch manchmal, diese Sichtbarkeit.
Gut eingefangen hast du für mich auch den Aspekt des Selbermachens und der gegenseitigen Unterstützung. Klar basierte das ganze auf einem Mangel, es gab eben kaum individuelle Kleidung – deshalb habe ich damals auch meine Garderobe selbst genäht, oder Baustoffe, Holz für Regale, was auch immer. Wir waren viel mehr eine Tauschgesellschaft und unterstützten einander. Dieses Geben und Nehmen ist für mich auch heute noch Selbstverständlichkeit, auch wenn es damals eher aus dem Mangel entstand, hatten die Dinge einen größeren Wert. Klar, Geld war auch damals wichtig, aber daran wurde nicht der Wert eines Menschen gemessen und auch mit wenig Geld war ein gutes Leben möglich. Es war nicht so das Zentrum von allem. Da ging es viel mehr um „Was kannst du und was kann ich und ist das, was jede von uns kann auch für die andere nützlich.“
Was ich an der Blogparade spannend finde, bisher hat jeder Teilnehmerin etwas Ähnliches über ihre Erfahrung mit dem Wechsel der Gesellschaftsordnung beschrieben, wie du: „Ich behaupte mal, wer die Wende überstanden hat, den kann nichts mehr erschüttern. Von einem Tag zum anderen in einer anderen Gesellschaftsordnung zurechtzukommen, macht resilient. Die Erfahrung kann mir niemand nehmen.“ Das ist ein Aspekt über den wir noch viel mehr sprechen und schreiben sollten. Liebe Grüße Sylvia
Liebe Sylvia,
was für ein ausführlicher Kommentar auf meinen Beitrag. Ganz, ganz herzlichen Dank dafür, liebe Sylvia.
Stimmt, die bunten Dederon-Kittelschürzen sahen nicht nur komisch aus, sie müssen ja auch fürchterlich geklebt haben. Aber sie waren damals fast so etwas wie eine „Uniform“ …
Ich kann darüber lachen, denn in meinem Zuhause gab es sowas alles nicht, auch keine der typischen „Anbauwände“ und andere Symbole der Spießigkeit. Allerdings fand ich das damals auch nicht immer toll, vor allem, dass wir in meinen ersten 10 Lebensjahren auch keinen Fernsehen hatten. Da wäre ich gern etwas mehr „so wie alle anderen“ aufgewachsen.
Interessant finde ich, dass du meine Erfahrungen in mehrfacher Hinsicht bestätigen kannst. Denn auch, wenn wir in der gleichen Gesellschaftsordnung gelebt haben, hat jede und jeder von uns sein eigenes Leben gelebt und seine eigene Sichtweise auf die Zeit.
Meinem Fazit hätte ich auch noch hinzufügen können: Wer die Wende überstanden hat, ist nicht mehr leichtgläubig. Die Arroganz mancher Schaumschläger und Glücksritter, die uns gutgläubige Ossis damals scharenweise abgezogen haben, macht mich noch heute fassungslos. Damit meine ich wirklich nicht jede Person, die in den Osten kam. Ganz bestimmt nicht. Aber auch das war eben eine gute Schule für uns und trägt ja auch gewissermaßen zu unserer Resilienz bei.
Zum Glück denke ich selten an die Zeit zurück 😊
Danke noch einmal für dein Feedback und die tolle Blogparade!
Liebe Grüße
Astrid